Dieser FDP-Politiker fordert das Ende der Brandmauer: „Das ist die letzte Chance für meine Partei“

Für den Schweriner FDP-Politiker Paul Bressel sind die Liberalen noch nicht am Ende. Sozial-Liberale hätten zu lang den Kurs bestimmt, eine Zukunft sieht er nur mit der AfD. Ein Interview.
Die „liberale Stimme Deutschlands“ ist nicht nur verstummt, sie ist verschwunden. Seit der Bundestagswahl im Februar ist die FDP zu einer Erinnerung geworden. Die Liberalen sind geräuschlos von der Regierungsarbeit in die Bedeutungslosigkeit übergetreten. Unsichtbar im politischen Raum, unhörbar in der öffentlichen Debatte. In Umfragen kratzt die FDP nicht mal mehr an der Fünf-Prozent-Hürde, sondern liegt derzeit bei rund drei Prozent. Außerdem werden die Liberalen Jahr um Jahr aus den Landesparlamenten gefegt. In Mecklenburg-Vorpommern droht ihr im kommenden Jahr das gleiche Schicksal. Was dann noch bleibt, ist die Frage nach dem Sinn ihrer Existenz.
Paul Bressel, Kreisvorsitzender in Schwerin, weigert sich, den Niedergang seiner Partei hinzunehmen. Für ihn steht fest, dass die FDP nur noch eine Chance hat: Sie muss die Brandmauer zur AfD einreißen. Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärt Bressel, warum er diesen Schritt als demokratische Notwendigkeit versteht. Er spricht über die Entfremdung zwischen der Führung seiner Partei und der Basis und darüber, wieso es sich bei der AfD seiner Meinung nach nicht um eine rechtsextreme Partei handelt.
Herr Bressel, seit der Bundestagswahl ist Ihre Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Jetzt haben Sie mit Ihrer Forderung, die Brandmauer zur AfD einzureißen, für Schlagzeilen gesorgt. Geht es Ihnen dabei um das Land oder schlicht um die Rettung der FDP?
Mir geht es um beides und insbesondere darum, dass die sogenannte Brandmauer den demokratischen Prozess verfälscht. Der Wählerwille wird nicht mehr abgebildet. Beispielhaft war die letzte Bundestagswahl: Gewählt wurde mehrheitlich freiheitlich und rechtskonservativ, am Ende regierte aber eine linke Koalition, in der die SPD mit gerade einmal 16 Prozent den Ton angab. Das ist absurd.
Heißt das, Sie sehen in der Brandmauer eine Gefahr für die Demokratie, beziehungsweise ein Hindernis für eine realistische Abbildung von Wahlergebnissen?
Die Demokratie funktioniert noch sehr gut, wird durch die Brandmauer jedoch stark verzerrt. Gleichzeitig geht es mir natürlich auch um die FDP. Seit der Bundestagswahl ist sie im Sinkflug. Die einzige Überlebenschance besteht meines Erachtens darin, die Brandmauer einzureißen und sich von diesen Fesseln zu lösen, um wieder liberale Politik zu machen. Und wir sollten uns auf keinen Fall von anderen Parteien vorschreiben lassen, mit wem wir reden dürfen und mit wem nicht.
Die „Fesseln“, von denen Sie sprechen, hat sich die FDP allerdings selbst angelegt – durch ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD.
Das stimmt so nicht. Es gibt keinen Beschluss, der eine rechtliche Bindung hat und auf einem Bundesparteitag verabschiedet wurde. Es gibt nur einen Beschluss des Bundesvorstandes.
Dennoch wurde und wird von Ihren Parteikollegen immer wieder betont, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben wird.
Richtig. Aber wie gesagt: Es gibt keinen bindenden Unvereinbarkeitsbeschluss der FDP.
In einem Interview mit der Ostsee-Zeitung sagten Sie, die FDP habe mit der AfD inhaltlich eine Schnittmenge von 60 bis 80 Prozent. Wo konkret sehen Sie diese Überschneidungen?
Vor allem in der Wirtschafts- und Migrationspolitik. Wenn ich in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs bin und die AfD-Plakate mit „Mehr Netto vom Brutto“ sehe, denke ich: Das ist im Kern ein FDP-Spruch. Unter Westerwelle haben wir genau damit geworben. Heute lassen wir es zu, dass andere unsere Themen besetzen.
Kritiker warnen, dass das Einreißen der Brandmauer den Rechtsextremismus verharmlost. Wie sehen Sie das?
Diese Argumentation ist absurd. Mit derselben Logik könnte man sagen, eine Koalition mit den Grünen verharmlose den Linksextremismus. Diese vermeintliche moralische Überlegenheit überzeugt mich nicht.
Das heißt, Ihrer Einschätzung nach ist die AfD keine rechtsextreme Partei?
Die Partei als solche halte ich nicht für rechtextrem. Problematisch sind einzelne Mitglieder, von denen sich die AfD trennen muss, wenn sie Regierungsverantwortung übernehmen möchte. Erst danach wäre sie regierungsfähig.
Ihre Idee einer Zusammenarbeit würde also voraussetzen, dass Mitglieder mit rechtsextremen Tendenzen ausgeschlossen werden?
Unsere Priorität als Liberale muss sein, liberale Politik umsetzen und gestalten zu können. Darum geht es. Und nicht um Etiketten.

Im Mai haben Sie auf X geschrieben, nicht die „rechtsextreme“ AfD bereite Ihnen Sorgen, sondern ein Verfassungsschutz, der ein „dilettantisches Gutachten“ vorlege – so schlecht, dass es selbst ein Neuntklässler nicht schlechter zusammenschustern könne. Halten Sie den Verfassungsschutz für politisch gesteuert – und zweifeln Sie grundsätzlich an seiner Kompetenz?
Der Verfassungsschutz hat eine enorm wichtige Aufgabe. Entscheidend ist aber, dass er unabhängig von der Politik agiert. Diese Unabhängigkeit sehe ich derzeit nicht.
Ihre Äußerungen sollen zu Rücktritten im Kreisvorstand geführt haben. Stimmt das?
Wenn man solche Debatten anstößt, muss man mit Aufschreien rechnen. Dazu gehören auch Rück- oder Parteiaustritte. Genauso wie neue Eintritte. Fakt ist: Ich bin weiterhin Kreisvorsitzender in Schwerin, wir konnten unsere Mitgliederzahl in den letzten Monaten deutlich steigern und haben bei der Kommunalwahl das beste Ergebnis in ganz Mecklenburg-Vorpommern erzielt. Das bestätigt mich in meinem Kurs.
Ein Kurs, der auch von Parteikollegen mitgetragen wird?
Bei uns gibt es zwei Lager und das ist auch gut so. Denn eine homogene Partei wäre mit der SED oder NSDAP vergleichbar. Gesellschaften sind gespalten, Parteien ebenso. Das ist Ausdruck individueller Freiheit. Jetzt wird um einen Richtungswechsel gekämpft, und in den nächsten Monaten wird sich entscheiden, welches Lager sich durchsetzt. Jedoch gibt es ein Problem, dass jahrelang unterschätzt wurde.
Welches?
Das sozial-liberale Lager hat viel zu lange den politischen Kurs der Partei vorgegeben. Dabei besteht die Basis aus Unternehmern, Ärzten, Anwälten – Menschen mit einem ausgefüllten Berufs- und Privatleben, die sich weniger politisch engagieren können. So dominiert eine kleine Blase von Funktionären, die mit den Realitäten der Bürger kaum noch etwas zu tun hat und die Partei in eine schwierige Lage gebracht haben. Das zeigte sich deutlich auf dem letzten Bundesparteitag. Dort gab es keinerlei kritische Auseinandersetzung mit der Regierungsarbeit der FDP in der Ampelregierung. Stattdessen lobte man sich und betonte, dass man „Schlimmeres verhindert“ habe. Eine ehrliche Analyse der Regierungszeit fand nicht statt.
Wenn Sie die Ampel schon ansprechen: Welche Fehler waren aus Ihrer Sicht entscheidend, die der FDP den Weg in die Bedeutungslosigkeit geebnet haben?
Es begann mit dem Heizungsgesetz, das alles andere als liberal war. Auch das Selbstbestimmungsgesetz halte ich im Ergebnis für problematisch. Hinzu kamen weitere Vorhaben, die kaum mit einer liberalen Politik vereinbar sind. Die FDP rechtfertigte das stets mit dem Argument, man habe „Schlimmeres verhindert“. Aber wenn das der einzige Maßstab bleibt, verliert die Partei ihre Existenzberechtigung.
Das klingt widersprüchlich: Einerseits hoffen Sie, mit Ihrer Forderung die FDP retten zu können. Andererseits sagen Sie selbst, dass es auch ihr Ende bedeuten könnte.
Ein Niederreißen der Brandmauer ist die letzte Chance der FDP. Entweder wir schaffen den Kurswechsel oder wir verschwinden endgültig in der Bedeutungslosigkeit.
Rückblickend betrachtet: War es ein Fehler, so lange an Christian Lindner festzuhalten?
Christian Lindner war nicht das Hauptproblem, auch wenn er mit seiner Amtsübernahme den Linkskurs eingeleitet hat. Viele seiner Weggefährten wie Johannes Vogel und Konstantin Kuhle haben diesen Kurs geprägt und ihren Einfluss geltend gemacht.

Ihrer Meinung nach trägt der ehemalige Parteichef also keine Schuld?
Natürlich war und ist Lindner dafür mitverantwortlich. Man darf aber nicht vergessen, dass er ein außergewöhnliches politisches Talent ist. Rhetorisch stark, charismatisch und auch optisch ein Zugpferd, das Stimmen mobilisieren konnte. Solche Persönlichkeiten gibt es in der FDP nur sehr wenige. Für mich war es ein Trauerspiel, dass er gegangen ist. Traurigerweise führt Christian Dürr diesen sozial-liberalen Kurs, der meines Erachtens nicht zur gesellschaftlichen Stimmung passt, einfach weiter. Dabei sollten wir unsere Themen stärker an der Realität ausrichten und weiter nach rechts rücken.
Was erwarten Sie konkret von Christian Dürr?
Mir geht es weniger um eine einzelne Person und mehr um den Kurs der Partei. In allen Umfragen sind Wirtschaft und Migration die Top-Themen. Dafür muss die FDP endlich Lösungen finden, die umsetzbar sind. Das geht nur mit Partnern, mit denen wir die größten Schnittmengen haben. Wenn uns das nicht gelingt, ist es vorbei.
Glauben Sie, dass Ihre öffentliche Positionierung tatsächlich eine Debatte in Gang setzt oder am Ende nur für eine innerparteiliche Spaltung sorgt?
Ich will, dass wir endlich inhaltlich diskutieren und einen neuen Kurs einschlagen. Mein Appell richtet sich an die Basismitglieder von CDU und FDP: Bringt euch in euren Kreis- und Landesverbänden ein und fordert diese Kursänderung aktiv ein.
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